GESCHICHTEN AUS DEM BEOBACHTUNGSHAUS

TEIL 2

Der Flug des Silberreihers


Naturfotografen, auch Amateure wie ich, wir sind schon ein seltsames Völkchen. Einerseits wollen wir natürlich, dass andere Menschen unsere Fotos ausgiebig und voller Verzückung sowie Begeisterung und gerne auch mit ein klein wenig Neid betrachten, andererseits jedoch, wenn wir unterwegs und auf Motivsuche sind, benötigen wir die Menschen nicht so richtig. Wir meiden sie sogar, weil Naturfotografie nun mal eher wenig mit Menschen und ihren zuweilen seltsamen Verhaltensweisen zu tun hat. Oder vielleicht doch?

Ich sitze wieder einmal im Beobachtungshaus in den Marchauen. Es ist Wochenende . Neugierige Spaziergänger kommen herein. Die meisten machen dabei respektablen Lärm, kommen forschen Schrittes zu den Ausgucken, plaudern und kichern, setzen sich für 2 Minuten ... und verschwinden wieder, weil trotz dieses hohen Zeitaufwandes keinerlei spektakuläre Ereignisse passieren. Unsere schnelle Zeit lässt da wenig Spielraum, entweder geschieht gleich etwas, oder es lohnt sich nicht. Mehr als eine Tiktoklänge ist nicht drin.

Ein junges Pärchen setzt sich neben mich, sie flüstern respektvoll, aber lange werden sie es wohl nicht aushalten...

 

Aha, der junge Mann zeigt jetzt seiner Begleiterin etwas. Er deutet mit der Hand auf die linke Seite des Waldes am gegenüberliegenden Ufer. Sein Flüstern wird intensiver. Sie folgt mit ihren Augen seiner Geste und antwortet ebenfalls aufgeregt Unhörbares. Bitte was passiert hier?

Möglichst unauffällig und demonstrativ gelangweilt schaue ich in die vorgezeigte Richtung ...

Und da sitzt er, ein weißer Silberreiher, völlig bewegungslos auf dem Ast eines ins Wasser ragenden alten Baumes. Wie ein Waldgeist. Ich habe diesen Reiher nicht entdeckt, der junge Mann neben mir schon, das kommt ein wenig peinlich für den Herrn Naturfotografen.

Jetzt muss alles passen. Ich lasse den Vogel nicht mehr aus den Augen.  Die Kamera mit dem schweren Teleobjektiv lege ich am Fensterrahmen auf, es ist noch genug Tageslicht vorhanden, ich kann es schaffen und den Moment abwarten, wenn der Silberreiher losfliegt, vielleicht um sein Abendessen aus dem Wasser zu fischen?

Das junge Pärchen verlässt das Beobachterhaus mit einem geflüsterten Gruß in meine Richtung. Keine Zeit jetzt, ich muss den Reiher beobachten. Irgendwann wird er sich bewegen, dieser weiße Waldgeist auf dem Baum.

 

Einige ewig lange Wartegeduldsminuten später gelingt mir dann eines meiner Lieblingsfotos: Ein Silberreiher beim Startvorgang.

Man kann also doch in 2 Minuten eine Entdeckung machen - an dieser Stelle einen späten Dank für den Hinweis an die jungen Leute!