GESCHICHTEN AUS DEM BEOBACHTUNGSHAUS

TEIL 1

 

Die Herde.


Es ist Dezember. In den letzten Tagen hat es  geschneit.  Die Auwälder bei Marchegg sind kalt und der  Schnee dämpft alle Geräusche. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Obwohl im Vorhof des Schlosses ein Adventmarkt duftet und lärmt, bin ich wenige Schritte später im Wald alleine unterwegs.

Im Beobachtungshaus am langen Rundweg angekommen, setze ich mich leise auf eine Bank und lege den Fotoapparat bereit. Das 150-600 Teleobjektiv ist montiert und wartet auf Beute. 

Am gegenüberliegenden Ufer laufen Wildschweine durch das Unterholz, ich kann die dunklen Fellrücken zwischen den Sträuchern erkennen. Davon abgesehen bewegt sich allerdings nicht viel im Winterwald...

So ist es manchmal. Die Tiere haben heute offenbar wichtigere Dinge zu erledigen, als sich vor meiner Kameralinse herumzutreiben.

Einige Kormorane ziehen hoch oben wie Schatten über den bedeckten Himmel, ich unten auf der Erde habe kein Fotografenglück. Vom Boden der Hütte zieht die Kälte hoch, und gegen Nachmittag schwindet das Licht zunehmend. So packe ich schließlich meine Ausrüstung zusammen und mache mich auf den Rückweg.

 

Während ich durch den verschneiten Wald stapfe, setzt die Dämmerung ein. Für heute ist es mit der Fotografie vorbei, meine Gedanken schweifen ab, im stillen Winterwald  besteht keine Leinenpflicht für Gedanken, sie können frei fliegen.

Und dann höre ich plötzlich ganz in meiner Nähe das Wiehern eines Pferdes. Ich hebe überrascht den Kopf, blicke mich um, während gleich noch einmal ein Wiehern ertönt, und noch eines, und dann gibt rund um mich eine kleine Herde halbwilder Konikpferde schön der Reihe nach ein jedes ein Wiehern zum Besten. Ich stehe mitten unter ihnen und habe in der Dämmerung die Tiere nicht bemerkt. Sie mich offenbar schon, und das Wiehern bedeutet wahrscheinlich: "passt auf da kommt einer, der kriegt gar nix mit, mal sehen was der will

Fotos sind jetzt nicht so wichtig. Ich mag die überraschende Situation im  Wald so nahe bei den Pferden.

Einige Minuten verweile ich noch, höre den leisen Geräuschen der Herde zu, und gehe dann langsam weiter. Die Pferde beachten mich nicht mehr, ich bin wahrscheinlich nicht besonders interessant...

 

So ist es machmal. Ganz ohne neue Eindrücke komme ich nur selten zurück nach Hause.